Frank Sporkmann: Die Zeit vor der Zeit - Mythen der Aborigines - Rezension Literaturmagazin Lettern.de Frank Sporkmann: Die Zeit vor der Zeit
Mythen der Aborigines

Aleph Verlag
broschiert, 188 Seiten
15
,50 €
ISBN: 3-936-93402-9

 

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Die abenteuerliche Reise durch Zeit und Raum Australiens

Es ist eine außergewöhnliche Reise, die quer durch den fünften Kontinent führt, von Kangaroo Island im Südwesten zum Cap York im Nordosten, in die Große Victoriawüste oder zum heiligen Berg Oobi-Oobi. Es ist keine Reise mit dem Auto, dem Zug oder zu Fuß. Es ist eine Traum-Reise, auf die man sich begibt, wenn man das Buch "Die Zeit vor der Zeit – Mythen der Aborigines" liest. Der Autor Frank Sporkmann lebte über ein Jahr in Australien und hat die erzählten Lehren in diesem Buch aufgeschrieben und zusammengestellt.

Die Mythen, die den Aborigines als heiliges Wissen gelten, führen in die Traumzeit, in der es noch keinen Unterschied gab zwischen Menschen, Tieren und spirituellen Wesen. Es ist die Zeit vor der Schöpfung, in der der Kontinent durch Träume erschaffen wurde und die Geschichte seiner Ureinwohner entstand.

Es sind einfach zu lesende Geschichten, die in bunten, blumig-poetischen Beschreibungen, ohne dabei ausladend und erdrückend zu sein, nicht nur Erwachsene ansprechen. Gerade Kinder genießen diese Storys, weil die Tiere sprechen und sich mit den Menschen unterhalten.
Einfache, auch für Kinder verständliche Geschichten – das sollte jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass jeder einzelnen Erzählung ein tiefgründiger Wesenskern innewohnt, den gerade Kinder häufig intuitiv erfassen. Die Mythen enthüllen eine Seite des Landes, die noch heute jeder entdecken kann, der die Fassade des hektischen, nervösen Alltages ein wenig beiseite schiebt, dahinter schaut und sich auf eine Reise zum Inneren, zum Wesenskern der australischen Vorfahren und seines Selbst begibt. Es lohnt sich, die Geschichten öfter zu lesen, denn jedes Mal lässt sich etwas Anderes an diesem Wesenskern entdecken. Mit Leichtigkeit zieht sich der philosophische Charakter wie ein roter Faden nicht nur durch die einzelne Erzählung, sondern durch das gesamte Buch. Und so hätte man auch die Überschrift wählen können: "Über den Respekt und die Achtung vor dem vom Göttlichen Geschaffenen".

Die Mythen machen nachdenklich, berühren und hinterlassen das Gefühl eines "sowohl" "als auch", sowohl das Göttliche als auch das Böse in Form von Unzufriedenheit, Habgier und Streit ziehen sich durch die Erzählungen. Immer wieder werden in den Lehren die Lebewesen zur Rechenschaft gezogen, wenn sie die Gesetze und Anordnungen Baiames, des Großen Geistes, des Göttlichen, missachten. Da mag dem einen oder anderen Leser sogleich der Gedanke an den voran schreitenden Klimawandel, Banken-crashs, Konkurrenzdenken, erkaltete Herzen und Egozentrik in den Kopf schießen. Sicherlich kann man diese negativen Entwicklungen nicht als gerechte Strafe Gottes ansehen für die Sorg- und Respektlosigkeit, mit der der moderne Mensch versucht, sich die Welt untertan zu machen. Aber vielleicht lohnt es sich dennoch, einmal darüber nachzudenken.

Die Mythen berichten ebenfalls, dass Baiame die Lebewesen häufig damit belohnt, dass er sie zu strahlenden Sternen verwandelt, die andere Lebewesen während Millionen von Jahren bewundern können. Dabei stehen die Sterne gleichzeitig als Symbol für eine Existenz frei von den Kämpfen und Kümmernissen des irdischen Lebens. Und so nähren die Mythen die Hoffnung, dass auch der moderne Mensch belohnt wird, wenn er achtsam mit der Schöpfung umgeht und diese respektvoll und würdigend nutzt, also im Einklang mit der Natur lebt.
Seit Jahrzehnten mehren sich die Stimmen, die vor der Ausbeutung der natürlichen und menschlichen Ressourcen durch den Menschen warnen - die Aborigines erzählen ihre lehrreichen Geschichten schon seit Jahrtausenden.

Es hat Spaß gemacht, das Buch "Die Zeit vor der Zeit" (vor) zu lesen. Es ist eine bunt, sprudelnde Quelle uralten Wissens, locker und in verständlichen Sätzen erzählt. Auf den ersten Blick wirkt es profan, doch beim genaueren Hinsehen offenbaren sich die einzelnen Geschichten als tiefgründige Botschaften. Man kann sich die Storys, ohne dass es langweilig wird, öfter zu Gemüte führen, gerade weil sich dabei immer wieder andere Aspekte herauskristallisieren. Vielleicht ist es genau das, was reizt und anzieht: Die scheinbar immer gleiche Geschichte präsentiert sich bei jedem (Vor)Lesen in einem anders schillernden Kleid, und so regt das Buch auch zu Gesprächen nach dem Lesen an. Darüber hinaus hat es mir die Geschichte der australischen Ureinwohner und damit den Kontinent näher gebracht.

© Barbara Ludwig 2010


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