Hanns-Josef Ortheil - Die große Liebe - Rezension Lettern.de Hanns-Josef Ortheil - Die große Liebe

btb Verlag 
Taschenbuch, 318 Seiten
9,00 €
ISBN 3-442-72799-
5

 

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Adam trifft Eva oder Ich trifft Du

 

Was für ein bedeutungsschwangerer Titel! Die große Liebe, das sind die drei Worte, die die meisten Menschen bewegen, die Sehnsucht wecken und – nicht zuletzt - neugierig machen auf diesen Roman.

 

Der etwas langatmige Beginn führt einen deutschen Fernsehredakteur an die italienische Adria, weil er dort für einen Film über das Meer recherchieren möchte. "Ich hatte das Meer einfach vergessen," heißt es, "jetzt lag es mir wie eine weite Verheißung zu Füßen, unaufdringlich und groß, als bekäme ich es mit ihm zu tun."

Genauso ist es natürlich auch, obwohl dieser Ansatz ein wenig seltsam anmutet. Wie kann man das Meer vergessen haben, wenn man beabsichtigt, einen Film über dieses Thema zu drehen?

Aber der Ich-Erzähler bekommt es wahrhaftig mit dem Meer zu tun – und das sogar im doppelten Sinne. Er begegnet der Dottoressa Franca, einer Meeresbiologin, die ein Forschungsinstitut leitet. Ebenso wie der Protagonist liebt die ätherische Schönheit das Meer, seine Farben, seine Textur und seine Gerüche.

Es ist die berühmte Liebe auf den ersten Blick, von der die beiden schon bei ihrer ersten Begegnung in Bann gezogen werden. Im Grunde erkennen sie sofort, dass sie füreinander geschaffen sind. Dieses beinahe biblische Erkennen führt dazu, dass sie sich über alle äußeren Widerstände hinwegsetzen, um ihre Liebe leben zu können.

Franca ist allerdings mit ihrem Institutskollegen Gianni Alberti verlobt, mit dem sie seit ihrer Jugend befreundet ist. Zunächst kämpft Alberti in italienischer Manier um Franca, indem er den Ich-Erzähler auf ein Boot locken und dort bedrohen lässt. Auf den 316 Seiten des ansonsten eher handlungsarmen Romans ist dies das einzige spannungserzeugende Element. Ansonsten fließt die Geschichte wie so manches Wasser: still, bedächtig und beinahe kontemplativ. Ortheil führt seine Leser durch San Benedotto, lässt sie an italienischen Trink- und Essgewohnheiten teilhaben, an alten Traditionen und Ritualen und beschreibt in aller Ausführlichkeit ein Altargemälde von Carlo Crivelli.

Das alles ist gut und schön – aber ist es ein stilistischer Kunstgriff, wenn der Leser über weite Teile eines Romans hinweg das Gefühl hat, ein Tagebuch zu lesen? Es ist schwer zu entscheiden, ob es das Tagebuch eines ungewöhnlich reifen Mittzwanzigers oder eines eher kindlich gebliebenen Mittvierzigers ist. Jedenfalls dominiert in diesem Buch das Wörtchen "Ich". Aufgrund seiner Häufigkeit kommt es störend daher und beeinträchtigt die oft gut gelungenen Umschreibungen und auch die Ruhe, die sich auf manche Leser übertragen mag. Mir jedenfalls fehlte das erhebende Moment genauso wie das Erhabene.

Wäre das die große Liebe, so schiene sie mir doch kleiner als sie in Wirklichkeit ist...

Der Autor Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren und lebt in Stuttgart. Er gehört zu den bedeutenden deutschen Autoren der Gegenwart und wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet. Er lehrt als Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim.

© Heide John 2004


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