Alan Moore/Kevin O'Neill: Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: 1910 - Rezension Literaturmagazin Lettern.de Alan Moore/Kevin O'Neill: Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen: 1910

Panini Verlag
broschiert
, 84 Seiten
12
,95 €
ISBN: 3-866-07464-6
 

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Gefangen in einem Zeitenwechsel

In dem dritten Abenteuer der "Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" lässt Autor Alan Moore und sein Zeichner Kevin O'Neill die Liga einmal zu oft im Regen stehen.

Nachdem die Liga im Kampf gegen die Invasion vom Mars mehrere Mitglieder verloren hat und sich der Rest untereinander überwarf, besteht sie doch weiterhin. Mina Murray ist allerdings die Einzige, die übrig blieb. Neben ihr sind Quatermain Jr., der unsterbliche Orlando, der Dieb Raffles und das Medium Carnacki die derzeitigen Mitglieder der Liga. Nachdem Carnacki wiederholt bedrohliche Visionen eines kommenden Weltunterganges hatte, macht sich die Liga daran zu erforschen, ob wirklich eine außergewöhnliche Bedrohung vorliegt. Die Nachforschungen führen zu Okkultisten und ihren mysteriösen Plänen. Währenddessen lebt Kapitän Nemos Tochter unerkannt in einem Slum von London. Und im Hafen lauert das U-Boot von Nemo mit seinen blutrünstigen Piraten. Doch auch ein Serienmörder macht die Straßen Londons unsicher. Ist Jack the Ripper etwa zurück?

Der dritte Band ist ganz in der Tradition der ersten beiden Bände gehalten, aber da er zeitlich einiges später angesiedelt ist, eben 1910, gibt es nicht mehr so einen reichen Fundus von möglichen Anspielungen auf (pop)kulturelle Figuren und Stories. Leider. Denn auch das macht einen nicht zu unterschätzenden Reiz der Geschichten um die Liga aus. Eben, dass Alan Moore viele Figuren der viktorianischen Ära auftreten lässt oder eben im Bildhintergrund Verweise liefert. So kann der literaturhistorisch versierte Leser laufend neue Sachen in den Bänden entdecken. In "1910" kommen aber weniger vor. Wobei das "weniger" nicht an dem Meisterautor Moore liegt, sondern vielmehr, dass Englands Literatur zu dem Zeitpunkt weniger zu bieten hatte. Die größte literarische Anspielung bezieht sich dann auch auf einen deutschen Autor: "Die Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht.

Ebenso wie inhaltlich alles in der Schwebe hängt, geht es der geschilderten Ära: Königin Victoria ist tot und der Nachfolger noch nicht gekrönt. Der Sozialismus erhebt sein Haupt, der Adel ist degeneriert und verliert langsam an Einfluss und viele wähnen einen neuen Krieg im Anmarsch. Viele Engländer flüchteten sich damals in den Okkultismus, um der unsicheren Zeit zu entfliehen. Diese gesellschaftliche Stimmung vermögen Moore und O'Neill hervorragend einzufangen. Nur kommt dieser Schwebezustand auch in der Story zum Tragen. Sie tritt auf der Stelle und hat keinen richtigen Anfang und kein richtiges Ende. Auch viele Anspielungen, gerade im okkultistischen Bereich, laufen ins Leere, weil sich dort wenige Leser auskennen werden. Aber auch die Zusammensetzung der Liga enttäuscht. Waren vorher charismatische und gebrochene (Anti-)Helden dabei, ist der einzige interessante Charakter der unsterbliche Orlando, der auch für ein wenig Witz sorgt.

Die deutlichsten Anspielungen beziehen sich auf Jack the Ripper, Sherlock Holmes, Aleister Crowley, Kapitän Nemo, Dracula, die damalige Faszination für Mumien, die Titanic und Ishmael aus "Moby Dick". Viele traten vorher schon auf. In den Bildhintergründen sind aber noch einige Anspielungen zu finden, wenngleich nicht mehr so reichhaltig wie vorher. Man kann den Elefantenmenschen entdecken, das Alien aus den gleichnamigen Filmen (warum eigentlich? Das gehört gar nicht in die Zeit.), eine Kreatur von Doktor Moreau (die auch schon in Band zwei auftrat) und Harry Potter.

Wie auch in den vorherigen Bänden gibt es im Cover Anzeigen wie zur Jahrhundertwende und im Anhang ein Text, der eine Hommage an die damals auftretenden Pulphefte ist. Die Zeichnungen sind sehr kantig, aber eindrucksvoll, blutig, aber stimmungsvoll und in sehr gedeckten Farben gehalten. Braun- und Grautöne überwiegen dabei. Man hätte sich beim Lesen dieses Bandes gewünscht, dass Moore von einer Liga erzählt hätte, die es vorher gegeben hat (im ersten Band sieht man Gemälde an einer Wand hängen, die Zusammensetzungen einiger Ligen präsentieren) und nicht von so einer blassen Truppe wie hier. Obwohl der Band insgesamt für so einen Autor erstaunlich schwach ist, kann man auf den geplanten vierten Band gespannt sein. Der soll 1968 spielen und da gibt es wenigstens einige popkulturelle Verweismöglichkeiten. Und auf die nächste Zusammensetzung der Liga kann man wenigstens wieder gespannt sein.

Enttäuschend. Wer die ersten beiden Bände der "Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" mochte, wird hier gepflegte Langeweile finden. In allen Aspekten kann der dritte Band nicht mithalten. Dennoch kann man gespannt sein auf den angekündigten vierten Band. Der soll 1968 spielen und verspricht damit einiges zu bieten.

© Jons Marek Schiemann 2010


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