António Lobo Antunes - Das Handbuch der Inquisitoren

Fischer Verlag
broschiert,
456 Seiten 
9,90
 
ISBN 3-596-14191-
5

 

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Seit Jahren ist der Schriftsteller António Lobo Antunes einer der bekanntesten Schriftsteller Portugals, der schon lange als Anwärter für den Literatur-Nobelpreis gilt, und der spätestens mit dem Portugal-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse weltbekannt wurde.

In seinem Roman Das Handbuch der Inquisitoren attackiert Lobo Antunes wieder einmal die Oberschicht seines Landes. Vom Vertreter dieser Oberschicht ist in diesem Buch jedoch nicht viel übrig geblieben, er ist ein alter Mann, der in einem Krankenhaus vor sich hin vegetiert, kaum in der Lage aufzustehen oder Wasser zu lassen.

Doch dieser alte Mann, der "Herr Doktor", hat eine dunkle Vergangenheit. Als Minister unter Portugals großem Diktator Salazar genoss er viele Privilegien, zu Hause auf seinem portugiesischen Landgut war er selber der große Diktator, der seine Mitmenschen tyrannisierte. Alle leiden - von den untersten weiblichen Angestellten, die er als sexuelles Freiwild betrachtet, vergewaltigt und schwängert, bis zu seinem Sohn, der "Trottel", der stets die Verachtung seines Vaters zu spüren bekommt.

Das Bild des Herrn Doktors setzt sich aus Berichten seiner "Opfer" zusammen, die einem anonymen Interviewer von Ihren Erfahrungen berichten. Die Berichte werden stets von quälenden Worten und Erinnerungsfragmenten aus der Vergangenheit unterbrochen, das Dienstmädchen hört noch immer, wie der Herr Doktor "Stillhalten!" sagt; sein Sohn erinnert sich noch an die Worte der Verachtung seiner Schwiegermutter, alle leiden an ihrer Vergangenheit, von der sie, ob sie es wahrhaben wollen oder nicht, bis in die Gegenwart verfolgt werden.

Die einzelnen Berichte gehen oft ineinander über und überschneiden sich. Oft verwirren die Gedanken, die die Menschen in sich tragen, sind die Gedanken, die sie uns schildern, oft nicht ohne weiteres nachvollziehbar.

Auch das politische Zeitgeschehen des Salazar-Regimes kommt immer wieder zur Sprache. Der Doktor hat die Kontrolle über die Polizei, damit eine starke Macht. Die Nelkenrevolution ist für ihn schließlich der Anfang vom Ende. Er verbarrikadiert sich vor den Kommunisten, bereit, alle "abzuknallen", die es wagen, sein Landgut zu betreten. Selbst hier ist die Überheblichkeit des Ministers spürbar. Die Verbrechen, die der Doktor allerdings als Minister am portugiesischen Volk beging, treten in den Hintergrund, angesichts des Leids, dass er mit eigenen Händen ausübte.

Mit dem Ende des Doktors zerfällt auch das Landgut, das Symbol seiner Macht. Ungläubig fragen sich die Besucher, wie man noch in so einem "Dreckloch" leben könne. Auch die Revolution verlangt somit ihre Opfer.

Zunächst fällt es einem nicht leicht, dem Roman folgen zu können, setzt er sich doch aus den einzelnen Berichten der verschiedensten Figuren zusammen. Ein roter Faden ist dadurch nicht vorhanden, Zeitsprünge erfolgen oft, und wehe, dem Leser entgeht etwas.

Aber die Atmosphäre entschädigt für alle Verwirrungen, man fühlt sich zu jeder Zeit auf das Landgut des schmierigen Doktors versetzt, spürt die Beklemmung, wenn sich die Geheimpolizei auf dem Landgut aufhält, spürt die Angst, die der Minister auf seine Umgebung ausübt und die Scham, die viele empfinden, für das, was ihnen angetan wurde.

Das Buch ist somit ein packendes Zeitgemälde, das mit geschickten literarischen Mitteln diese schreckliche Zeit wieder lebendig werden lässt.

© Till Weingärtner 2000


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