Michael Köhlmeier - Kalypso

Piper Verlag
442 Seiten 
9,90 € 
TB, ISBN: 3-492-22947-6
Hörbuch: 3-886-98454-0

 

Dieses Buch neu bestellen <- gebraucht suchen


Die Kraft und Leidenschaft von Homers Odyssee hat die Menschheit seit Jahrtausenden fasziniert. Nach seinem Roman Telemach greift der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier das antike Epos erneut auf. Im Mittelpunkt steht die Liebesbeziehung zwischen Odysseus, der nach Ende des trojanischen Krieges das heimische Ithaka sucht, und der Nymphe Kalypso, die den schiffbrüchigen Odysseus am Strand ihrer Insel entdeckt, pflegt und sich in ihn verliebt.

Michael Köhlmeier hat keinen historischen Roman geschrieben, viel mehr verlagert er die Handlung in die moderne Zeit, ohne dabei jedoch von den antiken Grundbedingungen abzuweichen, was dem Roman ein außergewöhnliches Flair verleiht. Weiterhin beschränkt er sich nicht auf die reine Beziehung zwischen der Nymphe und dem Helden, sondern erzählt in Rückblenden und Erinnerungsfragmenten die Geschichte vom Trojanischen Krieg und von Odysseus' eigenem Werdegang.

Diese Mischung aus Antike und Moderne wird sehr behutsam vorgenommen, oft nur in Anspielungen und Nebensätzen. Die antiken Darsteller werden damit zu Menschen unserer Zeit, ohne ihren antiken Charakter zu verlieren. Auch in seiner Sprache variiert Köhlmeier zwischen klassisch poetischer Erzählweise und modernen lakonischen, mit modernen Ausdrücken gespickten Passagen.

Dieser Stil gelingt Köhlmeier leider nicht in allen Teilen des Buches gleich gut. Vor allem am Anfang ist der Sprung ins Moderne oft zu plötzlich. Besonders der Ausdruck "Ficken" dringt zu schnell auf den unvorbereiteten Leser ein, im weiteren Verlauf des Buches wird der Ausdruck unnötig strapaziert, ständig sind Odysseus und Kalypso nur am "Ficken".

Dann jedoch erzählt uns Köhlmeier von Odysseus' Familienleben, von seiner Geschichte im Kriegsgeschehen und von seinen menschlichen Schwächen, von denen Köhlmeiers Odysseus nicht wenig aufweist. Einfühlsam schildert er die Ängste seiner Hauptperson, denn Odysseus ist die Hauptperson, nicht Kalypso. Kalypso steht lediglich für Odysseus selber im Mittelpunkt des Geschehens. Sie ist es, die während seines Aufenthalts auf der Insel seinen Alltag völlig bestimmt. Sie stellt Odysseus vor die Wahl, als Sterblicher zu leben oder bei ihr die Unsterblichkeit zu erlangen.

Die olympischen Götter spielen auch bei Köhlmeier eine wichtige Rolle. Besonders Athene und Hermes erweisen sich als eifrige Beobachter und Forscher der menschlichen Verhaltensweise. Auf eine für den Leser sehr unterhaltsame aber auch durchaus lehrreiche Weise analysieren sie aus einem ungewöhnlichen Versteck heraus das Verhältnis zwischen Kalypso und Odysseus. Damit bieten sie dem Leser gute Ansätze, um über das menschliche Wesen weiter nachzudenken.

Doch so tief und weit muss man beim Lesen gar nicht gehen. Kalypso ist ein packender Roman. Die Charakterschilderungen sind gekonnt vorgenommen, auf sehr leise Weise wird jede Person zu einer tragischen Gestalt. Köhlmeier hat sich gut in die Antike versetzt und bietet eine gelungene Neufassung eines Teils des gewaltigen Epos'. Kalypso ist ein zeitgemäßer Roman, der trotz seiner Eigenständigkeit den Geist des antiken Stoffes atmet.

© Till Weingärtner 2001


Aktuelle Kinderbuch-Rezensionen
Aktuelle Rezensionen
Aktuelle Hörbuch-Rezensionen
Rezensionen von A-Z
Rezensionen nach Genre

Rezensionen von lettern.de