Leseprobe aus Marion Nikolas: Sternenhimmel über Malaysia


Die Fähre glitt sanft schaukelnd aus dem Hafenbecken heraus. Eine Zeitlang fuhr sie flussabwärts. Dann lenkten die Malaien sie in einen schmalen Seitenarm, mitten in den Dschungel hinein. Es war als ob ein grün dämmriges Gewölbe sie unversehens einkesselte. Die mächtigen Kronen hoch über dem Boot ließen kaum einen Sonnenstrahl hindurch. Doch statt der erwarteten Kühle, wurde es stickiger und heißer. Die Luftfeuchtigkeit steigt an. Nach wenigen Minuten klebte den Passagieren die Kleidung am Leibe. Die gedämpfte Stille wirkte erdrückend.

Mit einem geheimen Seufzer und nach einem noch heimlicheren Seitenblick auf die Tante, die stocksteif dasaß und nicht zu ihr hinsah, öffnete Jana die obersten Knöpfe des hochgeschlossenen wollenen Trauerkleides. Der feuchtwarme Stoff kratzte derart unangenehm auf der Haut, dass sie weitere Knöpfe öffnete. Tief aufatmend legte sie den Ansatz ihrer Brüste frei, kehrte Esther und den Gentlemen aber wohlweislich den Rücken zu. Wie hält sie es nur aus mit dem hohen Kragen?, dachte sie mit einem Anflug von Bewunderung für die kühle Gelassenheit Esthers. Die Tante musste doch ebenso schwitzen wie sie und gleichfalls die Offiziere, die ständig einen Finger zwischen Haut und die steife Halsmanschette schoben, um ein wenig Luft in die Uniform zu fächeln. Wahrscheinlich hielt nur die Anwesenheit der Damen sie davon ab, sich der Jacken zu entledigen. Jana beobachtete sie mit steifem Nacken, da sie sich nur schwerlich umdrehen konnte. Eine Weile später verlor sie das Interesse an den hochroten Gesichtern der Herren. Fasziniert betrachtete sie nun das verwirrende Farbenspiel von hunderterlei Grüntönen. Vom schillernden Saumradgrün spitzer Blätter; bis hin zu düsterem, schwarzgrünem Moos, das an abgestorbenen Baumstämmen wucherte. Hier und da schimmerten die goldgelben Früchte vereinzelter Pisangbäume durch die dichten Blätter. Aus dem feuchten Boden stieg das süßliche, betäubende Aroma fleischiger Pflanzen und Blüten. Herabhängende, armdicke Lianenstränge streiften das Boot und mehrmals vermochte Jana gerade noch einem zurückschnellenden Ast auszuweichen.

Immer weiter schob sich die Fähre durch Biegungen und Windungen des Flussarms. Ab und zu verbreitete er sich zu einer von Menschenhand geschaffenen Lichtung. Grobgezimmerte Hütten auf hölzernen Stelzen, die weit ins Wasser hineinreichten, säumten hier die Ufer. Frauen klopften Wäsche oder gingen anderen Arbeiten nach und winkten freundlich, wenn das Boot passierte. Im Wasser tobende Kinder lachten, kreischten und rannten am schlammigen Ufer entlang nebenher. Das Winken und Rufen wurde vom Boot aus heiter erwidert. Natürlich nur von der einen Seite her. Einmal verbreitete sich der undurchdringliche Urwald zu einer tiefen Schneise. Elefanten, riesige Kolosse, rodeten die Bäume, gelenkt von auf ihren mächtigen Nacken thronenden, halbnackten Mahuds mit roten und weißen Turbanen. Einige berittene Soldaten überwachten gelangweilt die Arbeit und schauten kaum herüber.

Jana döste allmählich ein. Es gelang ihr kaum noch, die Augen offen zuhalten... Energisch riss sie sich zusammen. Viel zu interessant waren die Entdeckungen der Pflanzen und Tiere, welche sie bisher nur aus Büchern kannte:
Dort drüben im trüben Wasser ringelte sich gerade eine schwarze Schlange zum Ufer hin. Eine andere, riesig und mit schöner bunter Zeichnung, verharrte reglos in den Ästen eines Bethelstrauches. Bunte Vögel zankten sich kreischend in den Wipfeln hoher Mahagonibäume. Durch die Blätter einer Kampferpflanzung schielte neugierig ein kleines Äffchen herüber. Aus verborgenen, düsteren Stellen leuchteten exotische, seltsam geformte Blüten. Meerkatzen schwangen sich in unglaublicher Geschwindigkeit in schwindelnder Höhe von Ast zu Ast...

Unter halb geschlossenen Lidern betrachtete Jana träge die dickfleischigen dunkelgrünen Blätter einer ihr unbekannten Pflanze. Da warf ein unerwarteter heftiger Ruck das Boot zur Seite. Die malaiischen Fährmänner stemmten plötzlich ihre Staken tief in den schlammigen Untergrund und unterbrachen abrupt die Fahrt! Die Fähre schob sich, was undurchführbar schien, noch näher ans Ufer heran. Wild peitschende Schlingpflanzen schnellten über Deck. Auf der anderen Seite herrschte ein heilloses Durcheinander: Körbe, Käfige und Menschen purzelten übereinander. Schreien, Lachen und dazwischen das empörte Quieken des Schweins, das Anstalten machte, über den niedrigen Bordrand zu springen. Im allerletzten Augenblick stürzten sich mehrere Männer, unter anfeuernden Rufen, über das ungehalten grunzende Tier her und hielten es fest.

Erschreckt drehte Jana sich zu ihrer Tante um, öffnete den Mund, um zu fragen, was das alles zu bedeuten hätte... Nach einen Blick auf deren Gesicht schloss sie ihn jedoch wieder, denn die beiden Offiziere und Esther fuhren jäh von ihren Sitzen hoch und starrten wie versteinert in die gleiche Richtung. Erstaunt registrierte Jana sogar einen Anflug von Furcht in Esthers Miene. Neugierig geworden, schaute sie genauer hin.

Ein zweites Boot trieb ihnen entgegen - ein malaiisches Praho, dessen Mastbaum waagerecht über der ganzen Länge des Bootes lag. Vier Männer konnte sie erkennen: Zwei Malaien, die das Boot ebenfalls mit langen Staken lenkten, abenteuerlich anzusehen, da sie nur mit roten Dhotis und ebenso roten, nachlässig gebundenen Turbanen bekleidet waren. Der dritte Mann trug unverkennbar europäische Züge, obwohl seine Haut dunkler von der Sonne war als die der Eingeborenen. Er lehnte lässig, einen Fuß auf den gekippten Mastbaum gestellt und die Hände in die ausgefransten Taschen der abgeschnittenen Seemannshose gesteckt, an dem niedrigen Geländer. Sein bis zum Nabel geöffnetes Hemd zeigte eine schwarz behaarte Brust. Schwarz glänzten auch die spöttischen Augen, die kurz geschorenen Haare und der kecke Schnurrbart. Dieser unverschämte Kerl grinste tatsächlich frech und unbekümmert in ihre Richtung.

Was aber Jana zu einem tiefen Atemzug veranlasste - war die hoch gewachsene, vom Kopf bis zu den Füßen in einen schneeweißen Burnus gehüllte Gestalt, welche sich in aufreizend arroganter Haltung, die Arme über die Brust gekreuzt, kerzengerade über den Bug erhob! Nur ein schmaler Schlitz ließ die Augen unbedeckt.

Dass es ein Mann sein musste, der sich unter dem weiten Gewand verbarg, verrieten die kräftigen Körperformen und die ungewöhnliche Größe. Auch die leichte Bewegung, mit der er das Schwanken des Bootes ausglich, hatte nichts weiblich Anmutiges, sondern zeugte von ungezähmter Stärke.

Sie verspürte ein seltsames Gefühl in der Magengegend. Ein merkwürdiges Kribbeln, das sich einnistete, um sich bis zu den feinen Härchen in ihren Nacken fortzusetzen! Es handelte sich dabei nicht um Furcht, das wusste Jana genau. Furcht ließ sie erstarren, und ihre Glieder fühlten sich dann einskalt an. Das hier war was anderes, völlig Neues. Es schien eher, als ob sie, Jana etwas erwartete..., als ob gleich etwas geschehen würde... Etwas Außergewöhnliches...

Die Boote befanden sich jetzt auf gleicher Höhe. Sie hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um den Geheimnisvollen zu berühren, der hochmütig über sie alle hinwegblickte, als nähme er die Fähre überhaupt nicht zur Kenntnis.

Die beiden Malaien hielten einen Augenblick inne, um Grußworte mit den Landsleuten auf der Fähre zu tauschen. Anscheinend kannte man sich, denn sie lachten und riefen einander etwas in einer Sprache zu, die Jana nicht verstand. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie die Männer in unverhohlener kindlicher Neugierde anstarrte. Ihr Gesicht begann zu brennen, und sie wandte sich verlegen ab.
Aber irgendwas zwang ihren Blick magisch zurück zu der weißgekleideten Gestalt.

Sie sah jetzt direkt in das verhüllte Gesicht..., und die Planken unter ihren Füßen schienen auf einmal fort zu gleiten... Ihre Kehle wurde eng!
Ihr Herz überschlug sich in seinem Takt!
Der Fremde sah sie an...
Ein mandelförmiges Augenpaar musterte sie zuerst gleichgültig - dann mit erwachendem Interesse. Sekundenlang senkte es sich in ihre fassungslos aufgerissenen Augen!

Janas Lippen öffneten sich im Schock darüber, welch ein Chaos von Gefühlen dieser Blick in ihr auslöste! Unbewusst fuhr ihre Zungenspitze über die ausgetrockneten Lippen - und ahnte dabei nicht im geringsten, wie unschuldig sinnlich sie in diesem zeitlosen Augenblick wirkte...

Diese Augen: braun, grün, goldglänzend, welch eine ungewöhnliche Farbe!
Instinktiv fühlte sie, dass diese tief in ihrer Seele forschenden Augen sie ihr ganzes Leben lang verfolgen würden, denn...
... im grünen Flimmer des Dschungels schienen sie aus lebendigem, verflüssigtem Gold ...

Es gelang der jungen, eigenwilligen Juliana Roxan Benice, Lady Sinclair nicht, ihren Blick aus diesen Augen zu lösen, obwohl sie es wollte - und es doch nicht wollte... Sinne erwachten, gerieten in Aufruhr! Sinne, derer sie sich vorher nie bewusst war!

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